Besuchszeitenregelungen für Kinder von Inhaftierten
Die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) ist in Deutschland seit 1992 in Kraft. Der Vorrang des Kindeswohls ist eines der vier Grundprinzipien der Konvention. Das Recht der Kinder auf unmittelbaren Kontakt zu ihren Eltern ist in Artikel 9 der UN-KRK verankert und wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Der Vorrang der besten Interessen des Kindes (Kindeswohl) ist dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes zufolge auch für die Regelungen zum Umgang von inhaftierten Eltern mit ihren minderjährigen Kindern in Deutschland anzuwenden. Dies kann beispielsweise erweiterte Besuchsregelungen oder die Verbesserung der Rahmenbedingungen des Besuchs bedeuten.
Die Inhaftierung eines Elternteils prägt das Leben der Kinder
Die Inhaftierung eines Elternteils und der damit einhergehende Verlust des unmittelbaren Kontaktes hat gravierende Auswirkungen auf die betroffenen Kinder. Schätzungen zufolge sind in Deutschland ca. 100.000 Kinder von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen. Amtlich erhobene Zahlen gibt es bislang nicht. Untersuchungen zeigen, dass der regelmäßige Kontakt zwischen Kindern und ihren inhaftierten Elternteilen sehr wichtig für das Wohlbefinden der Kinder ist. Die Möglichkeiten für Kinder, ihre inhaftierten Eltern zu besuchen, sind deutschlandweit sehr unterschiedlich. Die Besuchszeiten werden vorrangig als Recht des inhaftierten Elternteils behandelt, sind bislang aber nicht an den Bedürfnissen oder gar Rechten der betroffenen Kinder ausgerichtet.
Besuchsregelungen variieren je nach Bundesland
Die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat untersucht, welche Regelungen es für die Besuche von Kindern bei ihren inhaftierten Elternteilen in den 16 Bundesländern gibt. Dazu haben wir aktuell die Strafvollzugs- und Justizvollzugsgesetze der Länder ausgewertet.
Die Ergebnisse in Kurzform:
- Die gesetzlich vorgeschriebene Mindestbesuchszeit variiert stark zwischen den Ländern: von monatlich einer Stunde (u. a. Hessen und Saarland), über zwei Stunden (u. a. Berlin, Mecklenburg-Vorpommern) bis zu vier Stunden (u. a. Brandenburg, Sachsen).
- In einigen Bundesländern kann diese Mindestbesuchszeit – laut Gesetz – für Kinder von Inhaftierten aufgestockt werden: beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern um zwei weitere Stunden bei Besuchen von Kindern unter 14 Jahren.
- Fast alle Bundesländer sehen unter bestimmten Bedingungen auch Langzeitbesuche für Familienmitglieder vor. Allerdings liegt die Genehmigung hierfür im Ermessen der entscheidenden Behörde.
- Darüber hinaus können die Justizvollzugsanstalten (JVAs) eigene Regelungen zur Besuchszeit treffen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die den Kindern von Inhaftierten zustehende Zeit für Besuche bislang recht gering bemessen ist, vergleicht man diese beispielsweis mit Umgangszeiten, wie sie im Kontext von Scheidung und Trennung der Eltern üblich sind.
Empfehlungen des Europarats zu Kontaktmöglichkeiten für Inhaftierter
Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze (EPR) sehen für inhaftierte Personen Besuche sowie Kontakt über Briefe, Telefongespräche oder andere Formen der Kommunikation „so oft wie möglich“ (Rule 24.1) vor, dies betrifft auch Besuche und Kontakte von Kindern. Der Europarat erwähnt in seinen Empfehlungen zu Kindern inhaftierter Eltern aus dem Jahr 2018 ausdrücklich, dass Kinder stark gefährdet und marginalisiert sind und Schutz vor Ausgrenzung und Diskriminierung benötigen. Daher empfiehlt das Ministerkomitee den Mitgliedsstaaten, den direkten und regelmäßigen Kontakt zwischen Kindern und beiden Elternteilen – auch dem inhaftierten – zu ermöglichen. Kinder sollen bereits innerhalb einer Woche nach Haftantritt ihr Elternteil besuchen können und danach regelmäßig und häufig in Form von vielfältigen Besuchsformen wie Langzeitbesuchen, Familienbesuchen etc. Die Empfehlungen des Europarats sehen weiter vor, dass grundsätzlich „kinderfreundliche Besuche mindestens einmal pro Woche genehmigt werden sollten, wobei für sehr kleine Kinder gegebenenfalls kürzere, häufigere Besuche zulässig sind.“ Zudem sollen zusätzliche alternative Kontaktmöglichkeiten zwischen Kind und inhaftiertem Elternteil ermöglicht werden. Dies gilt auch, wenn Kinder in einem anderen Bundesland oder im Ausland leben und aufgrund der Distanz zur Hafteinrichtung kein regelmäßiger Besuch stattfinden kann. Grundsätzlich sind JVA verpflichtet, über Kontakt- und Besuchsmöglichkeiten aufzuklären und die entsprechenden Informationen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung zu stellen.
Die Empfehlungen des Europarats wurden in Deutschland umgehend angenommen und 2019 von der Konferenz der Justizminister*innen der Länder (JUMIKO) beziehungsweise 2023 von der Konferenz der Jugend- und Familienminister*innen (JFMK) bestätigt. Beide Konferenzen haben in ihren Beschlüssen die Bedeutung des Themas hervorgehoben und sich zu ressortzuständigen ebenso wie zu gemeinsamen Anstrengungen verpflichtet.
Empfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes für Kinder Inhaftierter
Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat Deutschland zuletzt von 2019 bis 2022 geprüft und unter anderem einen konkreten Handlungsbedarf mit Empfehlungen bezüglich Kinder inhaftierter Eltern ausgesprochen. „Der Ausschuss empfiehlt der Vertragspartei:
28. (a) die Besuchsrechte von Kindern inhaftierter Eltern zu gewährleisten, auch durch häufigere und längere Besuchszeiten, und die Ergänzung der Besuche durch regelmäßige Kontakte über das Internet, gemäß den Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates zu Kindern inhaftierter Eltern (2019)“;
(b) unter Beteiligung von Kindern inhaftierter Eltern und deren Familien bestehende Richtlinien zu den Besuchsrechten dieser Kinder zu begutachten, um bundesweite Standards zu entwickeln, die sicherstellen, dass diese Kinder eine persönliche Beziehung zu ihren inhaftierten Eltern aufrechterhalten können und Zugang zu ausreichenden Angeboten sowie sachgerechter Unterstützung haben.“
Weiterlesen zum Thema von der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention: